Liebe Leserinnen und Leser.
Aus dem Vatikan erreicht die Welt ein Brief des Papstes Franziskus über die „Bedeutung der Literatur in der Bildung“. Abgesandt wurde er schon am 17 Juli, doch er hat bisher so gut wie keine Aufmerksamkeit erlangt. Gustav Seibt, Literaturkritiker und Historiker, hat in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Das Wort ist Fleisch geworden“ den Brief des Papstes besprochen. „Warum sollen wir lesen? Papst Franziskus gibt einige Antworten, die nicht nur Christen angehen.“ Ein „gutes Buch“, las man da, könne „zu einer Oase“ werden in städtischer Einsamkeit, es könne helfen, in Momenten der Müdigkeit, des Ärgers,
der Enttäuschung, des Scheiterns, und wenn es uns nicht einmal im Gebet gelingt, zur Ruhe zu kommen“. Die Abfolge überrascht, erst ein gutes Buch und dann: beten. Papst Franziskus, dessen persönliche Handschrift und Vorlieben den Text unverkennbar prägen, wendet sich in dem „Brief“ an alle Christen, an alle Menschen. Jeder soll lesen, wonach ihm ist, was ihm hilft bei Selbst- und Welterfahrung, beim Überwinden von Leere und Trostlosigkeit, schreibt Papst Franziskus. Ein längeres Zitat: „Beim Lesen einer Geschichte stellt sich dank der Sicht des Autors jeder auf seine Weise das Weinen eines verlassenen Mädchens vor, die alte Frau, die ihren schlafenden Enkel zudeckt, den Einsatz eines kleinen Geschäftsmannes, der versucht, trotz aller Schwierigkeiten über die Runden zu kommen, die Demütigung eines Menschen, der sich von allen kritisiert fühlt, den Jungen der als einzigen Ausweg aus dem Schmerz eines unglücklichen und rauen Lebens seine Träume besitzt. Wenn wir inmitten dieser Geschichten Spuren unserer inneren Welt finden, werden wir feinfühliger für die Erfahrungen anderer, wir treten aus uns heraus, um in ihre Tiefen einzudringen, wir können ihre Kämpfe und Sehsüchte ein wenig besser verstehen, wir sehen die Wirklichkeit mit ihren Augen und werden schließlich zu Weggefährten. So tauchen wir ein in die konkrete, innere Existenz des Obstverkäufers, der Prostituierten, des Kindes das ohne Eltern aufwächst, die Frau des Maurers, der alten Frau, die immer noch glaubt, ihren Prinzen zu finden. Und wir können dies mit Einfühlungsvermögen und manchmal mit Duldsamkeit und Verständnis tun.“ Man muss kein Christ, kein Mensch oder Experte im komplizierten theologischen Thema von Gesetz und Gnade sein, um das wahr und schön zu finden.
Im Sinne des Papstes Franziskus,
Achim Klaschka, Pfarrer em.
Auszug aus dem Wochenbrief Nr. 36